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Schlucken mit Trachealkanüle – Eine stille Herausforderung im Versorgungsalltag

Schlucken mit Trachealkanüle – Eine stille Herausforderung im Versorgungsalltag

Für Fachpersonal
2. Juni 2025

Schlucken – ein alltäglicher Vorgang, der uns normalerweise kaum bewusst ist. Doch für Menschen mit Trachealkanüle kann genau dieser teils willkürliche, teil reflektorische Prozess zu einer lebensgefährlichen Herausforderung werden.

In diesem Blogbeitrag beleuchten wir die besonderen Herausforderungen des Schluckens bei tracheotomierten Patienten und werfen dabei einen evidenzbasierten Blick auf die physiologischen Zusammenhänge, Risikofaktoren und therapeutischen Möglichkeiten. Im Fokus stehen aktuelle Erkenntnisse zum Einfluss der Trachealkanüle auf den Schluckvorgang sowie interdisziplinäre Ansätze zur Prävention aspira­tionsbedingter Komplikationen.

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Warum ist das Schlucken bei tracheotomierten Menschen so risikobehaftet?

Bei gesunden Menschen läuft das Schlucken meist unbewusst und automatisch ab – bis zu 2.000-mal am Tag.1 Bei Patienten mit Trachealkanüle hingegen sind mehrere Schutzmechanismen gestört:

Zum einen fehlt der natürliche Luftstrom über den Kehlkopf, was nicht nur die Stimmgebung beeinträchtigt, sondern auch die Sensibilität und den Hustenreflex2 negativ beeinflusst. Zum anderen ist die Koordination zwischen Atmung und Schlucken gestört3 – zwei Prozesse, die normalerweise präzise aufeinander abgestimmt sind. Zudem wird die Muskulatur des Kehlkopfs seltener, stark verzögert oder nur teilweise aktiviert, wodurch das Risiko für Aspirationen – also das Eindringen von Nahrung oder Flüssigkeit in die unteren Atemwege – deutlich steigt.4

Der Schluckvorgang – ein fein abgestimmtes Uhrwerk

Der Schluckvorgang besteht aus mehreren Phasen, die eng ineinandergreifen und störanfällig sind. Die Trachealkanüle – insbesondere, wenn sie geblockt ist – wirkt auf mehreren Ebenen störend in den natürlichen Schluckablauf:

1. Orale Phase:

In diesen Phasen erfolgt die Nahrungsaufnahme, die Formung des Nahrungsbolus sowie der bewusste Beginn des Schluckens. Bei den meisten tracheotomierten Patienten bleibt diese Phase grundsätzlich erhalten. Allerdings können neurologische Grunderkrankungen oder allgemeine Schwäche die Koordination bereits hier beeinträchtigen.

Querschnitt eines Mundraums der den physiologische unbeeinträchtigte Schluckakt in der oralen Phase darstellt

Abbildung: Darstellung des physiologischen, unbeeinträchtigten Schluckakts in der oralen Phase.

2. Pharyngeale Phase:

Diese Phase ist bei tracheotomierten Personen besonders kritisch. Da kein Luftstrom über die oberen Atemwege mehr möglich ist, fehlen wichtige sensorische Reize, die normalerweise den Schluckreflex mit auslösen. Auch die Beweglichkeit des Kehlkopfes ist eingeschränkt, was seine Schutzfunktion zusätzlich schwächt. Häufig funktioniert auch der Kehlkopfverschluss nicht mehr ausreichend.5

Querschnitt eines Mundraums der den physiologische unbeeinträchtigte Schluckakt in der pharyngealen Phase darstellt

Abbildung: Darstellung des physiologischen, unbeeinträchtigten Schluckakts in der pharyngealen Phase.

Durch die geblockte Trachealkanüle fehlt oder reduziert sich außerdem der subglottische Druck6 – ein zentraler Mechanismus, der sowohl die Atemwege schützt als auch stabilisiert. Außerdem ist die Koordination zwischen Ein- und Ausatmen und Schlucken gestört: Während gesunde Menschen überwiegend während des Ausatmens schlucken, erfolgt der Schluck bei tracheotomierten Personen oft während der Einatmung – was das Risiko für Aspiration erheblich erhöht.3

3. Ösophageale Phase:

Diese Phase ist seltener direkt betroffen. Jedoch kann der aufgeblasene Cuff Druck auf die Speiseröhre ausüben und die Passage des geschluckten Bolus behindern. Dies führt zu einem gestörten Bolustransport oder Rückfluss – was wiederum sekundär zu einer Aspiration führen kann.7

Querschnitt eines Mundraums der den physiologische unbeeinträchtigte Schluckakt in der ösophagealen Phase darstellt

Abbildung: Darstellung des physiologischen, unbeeinträchtigten Schluckakts in der ösophagealen Phase.

Die geblockte Kanüle ist eine sowohl mechanische also auch sensorische Störquelle und hat somit massive Auswirkungen auf das funktionelle Zusammenspiel aller am Schlucken beteiligten Strukturen.

Wenn Schutzmechanismen versagen – Husten als letzter Rettungsanker oft nicht möglich

Ein kräftiger reflektorischer Hustenreiz ist für gesunde Menschen ein effektiver und wichtiger Schutzmechanismus bei versehentlicher Aspiration. Bei tracheotomierten Patienten – insbesondere bei geblockter Kanüle – ist dieser jedoch stark eingeschränkt oder gar nicht möglich.8 Gründe dafür sind der fehlende Luftstrom über den Larynx und somit auch der fehlende subglottische Druck sowie ein unvollständiger Glottisschluss, eine oft vorhandene Schwäche der Atemmuskulatur sowie eine herabgesetzte Sensibilität im Kehlkopfbereich.

Was hilft? – Sprechventil und gezielte Therapie

Eine bewährte Maßnahme in der Versorgung ist der Einsatz eines Sprechventils, zum Beispiel das Tracoe Phon Assist, auf einer entblockten Trachealkanüle. Dadurch wird der translaryngeale Luftstrom wiederhergestellt.

Tracoe Phon Assist I orange Sprechventil mit integriertem Sauerstoffanschluss

Abbildung: Tracoe Phon Assist I in oranger Signalfarbe

Dies bringt gleich mehrere Vorteile mit sich:

  • Der subglottische Druck kann wieder aufgebaut werden.
  • Ein kräftiger Huststoß ist wieder möglich.
  • Die translaryngeale Sensibilität wird verbessert.
  • Die Atem-Schluck-Koordination stabilisiert sich.

Darüber hinaus ist ein frühzeitiges und interdisziplinäres Dysphagiemanagement entscheidend, um lebensbedrohliche Komplikationen wie Aspiration, Pneumonie oder Mangelernährung zu vermeiden. Hier sind Logopädie, Atmungstherapie, Pflege, Medizin und Ernährungstherapie gleichermaßen gefragt.

Fazit: Aufmerksamkeit für einen oft unterschätzten Aspekt

Der sichere Umgang mit tracheotomierten Patienten erfordert nicht nur technisches Wissen, sondern auch ein tiefes Verständnis für die physiologischen Abläufe beim Schlucken. Dieser Vorgang ist weit mehr als ein simpler Reflex – er ist ein hochkomplexer, fein koordinierter Prozess. Störungen in diesem Ablauf können gravierende Konsequenzen haben.

Eine geblockte Trachealkanüle bietet keinen vollständigen Schutz vor Aspiration – sondern ist vielmehr ein zusätzlicher Risikofaktor. Nur durch gezielte Maßnahmen wie den Einsatz eines Sprechventils und individuell angepasste Schlucktherapie lässt sich eine sicherer Schluckablauf ermöglichen – und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.

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Referenzen:

1. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC). (2016, 2. Mai). Schluckstörungen: Mehr als fünf Millionen Betroffene. Abgerufen von https://idw-online.de/de/news650652.

2. Ding R & Logeman JA (2005). Swallow Physiology in Patients with Trach Cuff Inflated or Deflated: A Retrospective Study. Head & Neck. Sep;27(9):809-13.

3. Diez Gross, R., et al. (2007). Breathing swallowing pattern in tracheostomy vs. controls. Otolaryngology Head and Neck Surgery, 137(2S), 170.

4. Garuti, G. et al. (2014). Swallowing disorders in tracheostomized patients: a multidisciplinary/multiprofessional approach in decannulation protocols. Multidiscip Respir. Med. 20;9(1);36.

5. Dikeman, K. J., Kazandjan, M. (2002). Communication an Swallowing Management of Tracheostomized and Ventilater Depent Adults.

6. Diez Gross, R. et al. (2006). Direct measurement of subglottic air pressure while swallowing. Laryngoscope 116(5); 753-61.

7. Ceriana, P. et al. (2015). Changes of swallowing function after tracheostomy: a videofluroscopy study. Minerva Anestesiol. 81(4):389-97.

8. Kowalski, S. et al. (2017). Assessment of cough strength in patients with a tracheostomy. Can J Anaesth 64(12), 1-2.

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