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Mythos Sprechkanüle: Was tracheotomierte Patienten wirklich zum Sprechen brauchen

Mythos Sprechkanüle: Was tracheotomierte Patienten wirklich zum Sprechen brauchen

Für Fachpersonal
21. August 2025

Wenn Patienten nach einer Tracheotomie wieder sprechen möchten, fällt häufig sofort ein Begriff: Sprechkanüle. Gemeint ist damit meist eine Trachealkanüle mit sogenannter Phonationsöffnung, also einer kleinen Öffnung an der Außen- und (falls vorhanden) Innenkanüle, die die Ausatemluft durch die Kanüle hindurch nach oben in Richtung Kehlkopf leiten soll, um die Stimmbänder in Schwingung zu versetzen.

Doch so plausibel diese Vorstellung klingt – sie ist nicht die einzige Möglichkeit zur Phonation. Und sie birgt Risiken, die vielen nicht bewusst sind. In diesem Blogartikel möchten wir mit einem weitverbreiteten Irrglauben aufräumen und zeigen, was tracheotomierte Patienten wirklich brauchen, um wieder sprechen zu können.

Atos Medical – Produktion einer Tracoe Sprechkanüle mit Phonationsöffnungen.

Der Begriff „Sprechkanüle“ – eine irreführende Bezeichnung

Der Begriff „Sprechkanüle“ hat sich über viele Jahre eingebürgert, suggeriert aber, dass nur diese spezielle Kanüle das Sprechen ermöglicht. Das ist nicht korrekt. Vielmehr entsteht Stimme durch die Umleitung von Ausatemluft über die Stimmbänder – vor allem an der entblockten Kanüle vorbei.

Anatomische Illustration eines Menschen mit Luftzirkulation nach der Tracheotomie. Mit Tracoe Sprechventil.

Zwar kann eine Kanüle mit Phonationsöffnung diese Umleitung begünstigen, da sie einen zusätzlichen Luftfluss ermöglicht, doch sie ist keine Voraussetzung für die Sprech-und Stimmfähigkeit.

Für die Phonation gilt in den allermeisten Fällen: Auch eine gut angepasste, entblockte und ungefensterte Trachealkanüle ermöglicht das Sprechen – vorausgesetzt, die anatomischen und funktionellen Bedingungen stimmen.

Welche anatomischen und kognitiven Voraussetzungen sind für die Phonation erforderlich?

Die Phonation setzt einen ausreichend großen Ausatemstrom voraus, der über den Kehlkopf geleitet wird. Der Druck muss hoch genug sein, damit sich die Stimmlippen annähern und in Schwingung versetzen. Im Rahmen des Kanülenmanagements und vor dem Einsatz eines Sprechventils sollte daher eine umfassende bildgebende Untersuchung der Atemwege und des Sekretmanagements (beispielsweise mittels FEES) erfolgen, um mögliche Einschränkungen der Phonationsfähigkeit, wie beispielsweise einen fehlenden oder inkompletten Stimmlippenschluss, zu identifizieren. Fragestellungen sind hierbei:

  • Ist eine Phonation grundsätzlich möglich?
  • Wie gestaltet sich die Stimmqualität – ist sie verhaucht, rau oder heiser?
  • Wie ist die Stimmlippenbeweglichkeit? Aspiriert der Patient?
  • Wie sind seine Schutzreflexe?
  • Kann er husten?

Darüber hinaus erfordert die Kontrolle der Phonation und des Sprechens kognitive Fähigkeiten des Patienten, die je nach zugrundeliegender Erkrankung stark variieren können – von gar nicht betroffen bis hin zu stark eingeschränkt. Selbst bei kognitiven Defiziten des Patienten ermöglicht eine sorgfältige klinische Beobachtung eine differenzierte Einschätzung von Beeinträchtigung in Atmung, Phonation und Artikulation, die eine weiterführende diagnostische Abklärung bedürfen.

Was ist entscheidend für die Phonation bei tracheotomierten Patienten?

Durch diese präzise Anpassung der Kanüle wird die Grundlage für eine effektive Phonation geschaffen, die den Patienten eine frühzeitige und sichere Kommunikation ermöglicht. Die Fähigkeit zu sprechen, hängt bei tracheotomierten Patienten von folgenden Faktoren ab:

  • Verwendung eines Sprechventils: Das Sprechventil verschließt bei der Ausatmung und leitet so die Atemluft Richtung Larynx um. Dadurch geraten die Stimmlippen in Schwingung. Mit dem Tracoe Phon Assist bietet Atos ein Sprechventil mit zwei stufenlos verstellbaren Seitenöffnungen, um den Atemwiderstand individuell einzustellen. Das Phon Assist unterstützt bei der Entwöhnung von der Beatmung (Weaning), stimuliert den oropharyngealen Bereich und sogar die Stimmfindung bei Kindern.
  • Gute Kanülenanpassung: Die Auswahl der geeigneten Trachealkanüle ist entscheidend für die erfolgreiche Phonation bei tracheotomierten Patienten. Eine individuell angepasste Kanüle, die in Länge, Durchmesser und Form optimal zur Anatomie der Trachea passt, ermöglicht auch ungefenstert einen ausreichenden Luftstrom über die oberen Atemwege. Die Stimmqualität ist zudem abhängig von der Abdichtung des Trachestomas durch das Kanülenschild. Bei der Anpassung gilt es, eine Balance zwischen einer ausreichenden Abdichtung und der Vermeidung von Drucknekrosen zu finden.²
  • Ausreichender Platz um die Kanüle: Nur wenn genug Platz zwischen Kanüle und Trachealwand vorhanden ist, kann ein Teil der Ausatemluft nach oben umgeleitet werden.
  • Messung des Atemwegswiderstands: Die Messung des Ausatemwiderstands mittels Manometrie dient dazu, die Druckverhältnisse in der Trachea bei Patienten mit Trachealkanüle objektiv zu beurteilen. Damit kann festgestellt werden, wie viel Atemanstrengung beim Ausatmen über die physiologischen Atemwege notwendig ist, insbesondere bei Verwendung von Sprechventilen. Sie zeigt also, ob zu viel Widerstand (beispielsweise durch eine zu große Kanüle, eine Stenose oder andere Hindernisse) vorliegt und dadurch die Ausatmung erschwert ist. Somit unterstützt die Messung, ob eine Trachealkanüle verkleinert („downsizing“) werden sollte und ermöglicht die objektive Beurteilung der Situation beim Einsatz von Sprechventilen – mit dem Ziel, die Ausatmung möglichst leicht und ohne nennenswerte Belastung zu machen.³
  • Entblockte Kanüle: Der Cuff muss entblockt sein, damit Luft nach oben strömen kann.
  • Intakte Stimmbänder und obstruktionsfreie obere Atemwege: Eine Grundvoraussetzung für Phonation, unabhängig von der Kanüle.¹

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Phonationsöffnungen: Welche Chancen und Risiken sind zu beachten?

Kanülen mit Phonationsöffnung können hilfreich sein, um Patienten bei der Phonation zu unterstützen – aber sie sind kein Allheilmittel. Vor allem bergen sie auch Risiken, die aus Gründen der Patientensicherheit immer sorgfältig abzuwägen sind. In der klinischen Praxis werden gefensterte Kanülen selten eingesetzt und sind für spezielle Patientensituationen vorgesehen.⁴

Chancen

  • Verminderung der Atemarbeit für den Patienten durch erleichterte Luftströmung in die oberen Atemwege.
  • Unterstützung im Dekanülierungsprozess, bei der Wiederherstellung der Stimmfunktion und positive Beeinflussung der Schluckfunktion.

Risiken

  • Die Phonationsöffnung kann sich in die Trachealschleimhaut drücken, was zur Bildung von Granulationsgewebe führen kann.
  • Somit ist das Lumen zur Atemstromlenkung nach oben Richtung Larynx damit verlegt und unbrauchbar.
  • Es kann durch eine gefensterte Trachealkanüle also zu Trachealstenosen kommen, die in Folge die Atmung erschwert.

Wichtig: Kanülen mit Phonationsöffnung müssen daher besonders sorgfältig ausgewählt, angepasst und endoskopisch kontrolliert werden.3, 5

Fazit: Phonation ist auch eine Frage der Passform

Phonation und somit die Fähigkeit zu Sprechen entsteht durch das Zusammenspiel der Atmung, einer intakten Anatomie und durch eine gute angepasste Kanüle. Jede Kanüle, die entblockt getragen wird und genügend Platz für die Luftumleitung lässt, kann das Sprechen mit dem Sprechventil ermöglichen – auch ohne Phonationsöffnung.

Eine gute Kanülenanpassung, regelmäßige Überprüfung und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind der Schlüssel zur erfolgreichen Phonation.

Zum Schluss: Ein Blick in die Praxis

  • Wenn eine Phonationsöffnung verwendet wird, sollte stets eine endoskopische Kontrolle erfolgen – besonders bei Beschwerden wie Reizhusten, Dyspnoe oder Schluckstörungen.
  • Sprechen ist möglich, sobald der Patient wach, entblockt und ausreichend stabil ist – auch mit einer ungefensterten, gut angepassten Kanüle.
  • Die Messung des Ausatemwiderstands kann Hinweise darauf geben, ob die Kanüle gut angepasst und mit dem Sprechventil verwendet werden kann.

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Referenzen

1. Schwegler, H. (2022). Trachealkanülenmanagement (4. Aufl.). Schulz-Kirchner Verlag GmbH.

2. BVMed Informationsbroschüre (2017). Empfehlung für die Versorgung von tracheotomierten Patienten. https://www.bvmed.de/verband/publikationen/fachbroschueren/empfehlung-tracheotomieversorgung-2017

3. Johnson, D. C. et al. (2009).Trachesotmy tube manometry: evaluation of speaking valves, capping and need for downsizing. The Clinical Respiratory Journal 2009;3:8-14.

4. Pandian, V. et al. (2019). Are Fenestrated Trachestomy Tubes Still Valuable? Am J Speech Lang Pathol.; 28 (3): 1019-1028.

5. Dziewas R. et al. (2020). Neurogene Dysphagie, S1-Leitliniein: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.