Wenn Patienten nach einer Tracheotomie wieder sprechen möchten, fällt häufig sofort ein Begriff: Sprechkanüle. Gemeint ist damit meist eine Trachealkanüle mit sogenannter Phonationsöffnung, also einer kleinen Öffnung an der Außen- und (falls vorhanden) Innenkanüle, die die Ausatemluft durch die Kanüle hindurch nach oben in Richtung Kehlkopf leiten soll, um die Stimmbänder in Schwingung zu versetzen.
Doch so plausibel diese Vorstellung klingt – sie ist nicht die einzige Möglichkeit zur Phonation. Und sie birgt Risiken, die vielen nicht bewusst sind. In diesem Blogartikel möchten wir mit einem weitverbreiteten Irrglauben aufräumen und zeigen, was tracheotomierte Patienten wirklich brauchen, um wieder sprechen zu können.
Der Begriff „Sprechkanüle“ hat sich über viele Jahre eingebürgert, suggeriert aber, dass nur diese spezielle Kanüle das Sprechen ermöglicht. Das ist nicht korrekt. Vielmehr entsteht Stimme durch die Umleitung von Ausatemluft über die Stimmbänder – vor allem an der entblockten Kanüle vorbei.
Zwar kann eine Kanüle mit Phonationsöffnung diese Umleitung begünstigen, da sie einen zusätzlichen Luftfluss ermöglicht, doch sie ist keine Voraussetzung für die Sprech-und Stimmfähigkeit.
Für die Phonation gilt in den allermeisten Fällen: Auch eine gut angepasste, entblockte und ungefensterte Trachealkanüle ermöglicht das Sprechen – vorausgesetzt, die anatomischen und funktionellen Bedingungen stimmen.
Die Phonation setzt einen ausreichend großen Ausatemstrom voraus, der über den Kehlkopf geleitet wird. Der Druck muss hoch genug sein, damit sich die Stimmlippen annähern und in Schwingung versetzen. Im Rahmen des Kanülenmanagements und vor dem Einsatz eines Sprechventils sollte daher eine umfassende bildgebende Untersuchung der Atemwege und des Sekretmanagements (beispielsweise mittels FEES) erfolgen, um mögliche Einschränkungen der Phonationsfähigkeit, wie beispielsweise einen fehlenden oder inkompletten Stimmlippenschluss, zu identifizieren. Fragestellungen sind hierbei:
Darüber hinaus erfordert die Kontrolle der Phonation und des Sprechens kognitive Fähigkeiten des Patienten, die je nach zugrundeliegender Erkrankung stark variieren können – von gar nicht betroffen bis hin zu stark eingeschränkt. Selbst bei kognitiven Defiziten des Patienten ermöglicht eine sorgfältige klinische Beobachtung eine differenzierte Einschätzung von Beeinträchtigung in Atmung, Phonation und Artikulation, die eine weiterführende diagnostische Abklärung bedürfen.
Durch diese präzise Anpassung der Kanüle wird die Grundlage für eine effektive Phonation geschaffen, die den Patienten eine frühzeitige und sichere Kommunikation ermöglicht. Die Fähigkeit zu sprechen, hängt bei tracheotomierten Patienten von folgenden Faktoren ab:
Kanülen mit Phonationsöffnung können hilfreich sein, um Patienten bei der Phonation zu unterstützen – aber sie sind kein Allheilmittel. Vor allem bergen sie auch Risiken, die aus Gründen der Patientensicherheit immer sorgfältig abzuwägen sind. In der klinischen Praxis werden gefensterte Kanülen selten eingesetzt und sind für spezielle Patientensituationen vorgesehen.⁴
Wichtig: Kanülen mit Phonationsöffnung müssen daher besonders sorgfältig ausgewählt, angepasst und endoskopisch kontrolliert werden.3, 5
Phonation und somit die Fähigkeit zu Sprechen entsteht durch das Zusammenspiel der Atmung, einer intakten Anatomie und durch eine gute angepasste Kanüle. Jede Kanüle, die entblockt getragen wird und genügend Platz für die Luftumleitung lässt, kann das Sprechen mit dem Sprechventil ermöglichen – auch ohne Phonationsöffnung.
Eine gute Kanülenanpassung, regelmäßige Überprüfung und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind der Schlüssel zur erfolgreichen Phonation.
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Jetzt Anmelden1. Schwegler, H. (2022). Trachealkanülenmanagement (4. Aufl.). Schulz-Kirchner Verlag GmbH.
2. BVMed Informationsbroschüre (2017). Empfehlung für die Versorgung von tracheotomierten Patienten. https://www.bvmed.de/verband/publikationen/fachbroschueren/empfehlung-tracheotomieversorgung-2017
3. Johnson, D. C. et al. (2009).Trachesotmy tube manometry: evaluation of speaking valves, capping and need for downsizing. The Clinical Respiratory Journal 2009;3:8-14.
4. Pandian, V. et al. (2019). Are Fenestrated Trachestomy Tubes Still Valuable? Am J Speech Lang Pathol.; 28 (3): 1019-1028.
5. Dziewas R. et al. (2020). Neurogene Dysphagie, S1-Leitliniein: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.