ICU und Stimmverlust – Das Potenzial der Above Cuff Vocalisation (ACV)
Die Above Cuff Vocalisation (ACV) ermöglicht es beatmeten Patienten mit einer geblockten Trachealkanüle zu sprechen. Dieser Beitrag beleuchtet die Anatomie und Physiologie hinter der ACV und die Herausforderungen in der praktischen Umsetzung.

Bedeutung der Stimme und psychosoziale Auswirkungen
Die Stimme ist ein Ausdruck von Identität und Persönlichkeit. Ihr Verlust führt oft zu Angst, Isolation und potenziellen psychischen Belastungen wie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Studien haben gezeigt, dass das Wiedererlangen der Stimmfunktion den Stress und die Frustration von Patienten verringern können. Für das medizinische Fachpersonal ist der Verlust der Kommunikation ebenfalls problematisch, da er beispielsweise die Schmerzbeurteilung erschwert.
Anatomische und physiologische Grundlagen der Stimmenbildung
Die Stimmerzeugung ist ein komplexer Prozess, der im Kehlkopf stattfindet. Luft aus der Lunge und die Bewegungen der Stimmlippen erzeugen Schallwellen. Die Resonanzräume formen und verstärken den Klang, wobei das exakte Zusammenspiel dieser Elemente eine individuelle Stimme ermöglicht.
Luftfluss bei geblockter Trachealkanüle
Der Luftfluss bei einer geblockten Trachealkanüle erfolgt über die Kanüle und erreicht den Bereich oberhalb des Cuffs somit nicht. Der geblockte Cuff ist jedoch wichtig, da er Patienten vor Aspiration schützt. Die ACV ermöglicht einen retrograden Luftstrom über eine Kanüle mit subglottischer Absaugung (z. B. Tracoe Vario Extract), über diese dann künstlich ein Luftstrom appliziert wird. So werden die Stimmlippen zur Vibration angeregt, ohne dabei die Beatmung zu unterbrechen.
Neben der Vocalisation unterstützt die ACV die Ventilation und somit die Schluckfunktion.
Vorteile der Above Cuff Vocalisation/Ventilation
Die Above Cuff Vocalisation ermöglicht Patienten mit einer geblockten Trachealkanüle nicht nur die Stimmgebung und damit eine Verbesserung der Lebensqualität. Durch den nicht vorhandenen Luftstrom oberhalb des Cuffs, kommt es in diesem Bereich zudem zu einer Desensibilisierung. Neben der Vocalisation unterstützt die ACV die Ventilation und somit die Schluckfunktion. Sensorische Reize können Schluckreflexe fördern und die zentrale Nervensystemverarbeitung entscheidend beeinflussen, was wiederum die Therapie unterstützt, besonders im Hinblick auf eine Dysphagie.
Eignung und Auswahl der Patienten für ACV
Die Entscheidung zur Nutzung von ACV erfolgt nach feststehenden Kriterien, wie der medizinischen Notwendigkeit einer geblockten Kanüle und der Bereitschaft des Patienten zur Kommunikation. Die oberen Atemwege dürfen nicht blockiert sein und es sollten 72 Stunden nach Anlage des Stomas vergangen sein. Potenzielle Risiken müssen im interdisziplinären Team abgesprochen werden. Die Eignung eines Patienten wird durch die Ärztin oder den Arzt festgestellt.

Praktische Umsetzung von ACV
Die ACV-Technik erfordert eine Trachealkanüle mit subglottischer Absaugmöglichkeit, wie etwa die Vario Extract. Die richtige Anwendung bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen speziell geschulten Pflegekräften, Logopäden und Ärzten.
Material
- Kanüle mit subglottischer Absaugmöglichkeit (Vario Extract)
- Manometer für korrekten Cuffdruck
- Spritze zur Absaugung von subglottischem Sekret
- Beschilderung am Bett
- Fingertip/Daumenport
- Adapter der Extract Kanülen
- O2-Schlauch
- Druckluft/Sauerstoff
Step-by-Step-Vorgehen
1. Patienten vorab den genauen Ablauf erklären. Profi-Tipp -> Den Patienten vorab den Luftstrom an der Wange spüren lassen.
2. Prüfen Sie, ob die oberen Atemwege obstruiert sind.
3. Entfernen Sie mithilfe der subglottischen Absaugung Sekretablagerungen aus dem subglottischen Bereich. Endoskopische Kontrolle der subglottischen Öffnung (korrekter Sitz der Kanüle).
4. Anschließend wird der Daumenport mit dem subglottischen Schlauch verbunden.
5. Anschluss des Sauerstoffschlauchs und langsames Aufdrehen des Gasflusses/Druckfluss – auf 1 bis 5 Liter pro Minute (Richtlinien des National Tracheostomy Safety Projects).
6. Leiten Sie langsam Luft in die oberen Atemwege des Patienten, beginnend mit 1 l/min und steigern Sie langsam auf eine typische Flussrate (abhängig vom Bedarf des Patienten) bis er zum Phonieren in der Lage ist.
7. Nutzen Sie den Fingertip oder Y-Konnektor, um die Zeit des gegebenen Flows zu begrenzen. Dieser Zeitraum sollte an den Ausatemrhythmus angepasst werden.
8. Stellen Sie den Luftstrom und die Zeit so ein, dass der Patient sich wohl fühlt.
9. Überwachen Sie die Reaktionen des Patienten und passen Sie die Parameter (Flussrate und Zeit des Luftstroms) bei Bedarf an.
10. Stellen Sie den Luftstrom ab und entfernen Sie die benutzten Utensilien.

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