Von der Diagnose bis zum Alltag: Die fünf Phasen der Laryngektomie
Eine Diagnose wie Kehlkopfkrebs verändert schlagartig das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Die folgenden fünf Phasen zeigen den Weg von der ersten Information bis hin zur Rückkehr in einen neuen Alltag.

Die Diagnose: Emotionen, Sorgen und Entscheidungen
Wer die Diagnose Kehlkopfkrebs erhält, steht plötzlich vor einer Vielzahl von Fragen, Ängsten und Unsicherheiten. Die Tumorklassifikation bestimmt die Therapie – hier zählt ein vertrauensvoller, offener Austausch zwischen Patient und Behandlungsteam. Während das ärztliche Team medizinische Expertise mitbringt, kennen die Patienten ihre individuellen Bedürfnisse am besten. Je mehr Informationen beide Seiten teilen, desto passender können Entscheidungen getroffen werden.
Kehlkopfkrebs ist die häufigste Tumorerkrankung im Kopf-Hals-Bereich. Jährlich sind in Deutschland etwa 3600 Männer und 500 Frauen betroffen. Männer im Alter zwischen 50 und 70 sind besonders gefährdet, aber die Zahl betroffener Frauen nimmt zu. Die Ursachen sind vielfältig: Neben erblicher Veranlagung gelten vor allem Tabak und Alkohol in Kombination, sowie Schadstoffe wie Asbest, Nickel oder Arsen als begünstigende Faktoren.
Die gute Nachricht: Die Heilungschancen sind groß, besonders bei früher Behandlung. Doch eine Krebsdiagnose trifft oft überraschend und wirft Fragen auf – daher ist eine gute Vorbereitung für den weiteren Weg so wichtig.
Vor der Operation: Klärung und Vorbereitung
Je nach Stadium wird der Kehlkopf ganz oder teilweise entfernt. Die Laryngektomie ist häufig lebensrettend, vor allem bei fortgeschrittener Erkrankung.
Der Eingriff betrifft viele alltäglichen Funktionen: Atmen, Sprechen, Schlucken, Riechen und Schmecken verändern sich. Der Patient muss lernen, mit einem Tracheostoma, also einer Öffnung im Hals, zu leben. Die Stimme, unser wichtigstes Kommunikationsmittel, fehlt. Doch es gibt verschiedene Möglichkeiten die Stimme wieder herzustellen: mit einer Stimmprothese, einer elektronischen Sprechhilfe oder der sogenannten Ösophagusersatzstimme oder Ruktusstimme.
Vorbereitung heißt auch emotionale Unterstützung: In der ersten Zeit nach der Diagnose sind viele überfordert. Sie brauchen Menschen, die zuhören, beruhigen und Fragen beantworten. Es hilft, wichtige Dinge im Vorfeld zu regeln und Notizen zu machen, da die Kommunikation direkt nach der OP für einige Zeit erschwert ist. Angehörige sind oft eng eingebunden. Sie begleiten zu Terminen, helfen bei Pflege und sind emotionale und praktische Stützen.
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Jetzt Anmelden für die „Atos Learning News“Die Operation: Ein einschneidender Schritt
Eine Laryngektomie ist ein großer Eingriff, bei dem der Kehlkopf komplett entfernt wird. Die Atmung erfolgt ab sofort durch das Tracheostoma, nicht mehr durch Mund und Nase. Die Lunge übernimmt weiterhin ihre Aufgabe, denn Atmen muss man nicht neu lernen. Die Luft wird nun allerdings nicht mehr durch die Nase vorgefiltert, befeuchtet und erwärmt, sondern direkt über die Halsöffnung eingeatmet. Hier wird ein Wärme- und Feuchtigkeitsaustauscher (kurz HME) genutzt, der die Luft befeuchtet und erwärmt, ähnlich wie es zuvor die Nase getan hat.
Auch das Riechen ist nach der OP eingeschränkt, da die Luft nicht mehr die Nase passiert. Dennoch ist es möglich, eine spezielle Technik zu erlernen („höfliches Gähnen“), um wieder Gerüche wahrnehmen zu können.
Die Ernährung erfolgt in den ersten Tagen nach der OP meist über eine Magensonde. Schlucken ist manchmal zunächst schwierig, aber im Verlauf wird durch Logopädie trainiert, wieder normal zu essen und zu trinken.
Nach der Operation: Anpassung, Rehabilitation und neue Routinen
Direkt nach der OP erleben Patienten den Verlust von Stimme, gewohnter Atmung und körperlicher Kontrolle – Sicherheit und neue Kommunikationswege sind jetzt entscheidend. Meist bleiben sie etwa 14 bis 16 Tage im Krankenhaus und werden dort auf das Leben mit einem Tracheostoma vorbereitet. Man lernt, wie das Stoma gepflegt wird, wie man Sekret entfernt, sicher duscht, und wie Mundhygiene funktioniert.
Normale Aktivitäten wie Essen und Trinken sind anfangs schwierig. Das medizinische Team und Fachpersonal leisten Anleitung für die neue Alltagspraxis. Zu den Herausforderungen zählen Müdigkeit, Schwellungen, Drainagen, Kabel und Klammern am Hals. Die eigenen Routinen müssen neu gefunden werden.
Kommunikation erfolgt zunächst nonverbal – mit Papier und Stift, elektronischen Hilfsmitteln oder einfachen Zeichen und Gesten. Mit logopädischer Betreuung beginnt das Training, um mit Stimmprothese, Hilfsmittel oder Speiseröhrenstimme wieder sprechen zu lernen. Die Ernährung ist zunächst sondengestützt, später wird das Schlucken erneut aufgebaut und trainiert.
Psychosoziale Unterstützung ist wichtig, um mit Angst, Trauer oder Unsicherheit umgehen zu lernen. Die Selbsthilfe und der Austausch mit anderen Betroffenen werden oft als wertvoll erlebt. Angehörige werden in die Pflege des Tracheostomas, der Wunden oder der Magensonde eingewiesen und sind ein wichtiger Teil des Rehabilitationsprozesses.

Zuhause: Die neue Normalität und langfristige Nachsorge
Nach Ende des Krankenhausaufenthalts beginnt die nächste Phase zuhause. Hier spielen die ambulante Versorgung, Logopädie und Nachsorge eine zentrale Rolle. Praktische Unterstützung sind Hilfsmittel wie Erstausstattungstasche für die Tracheostomapflege und ein Inhalationsgerät.
Zu Hause sollte für die tägliche Pflege ein heller, gut organisierter und hygienisch einwandfreier Bereich eingerichtet werden. Dieser Pflegeplatz sollte ausreichend Licht und Platz bieten, um alle notwendigen Materialien sicher und griffbereit unterzubringen. Empfehlenswert sind ein Spiegel zur besseren Sichtkontrolle, ein funktionstüchtiges Absauggerät sowie die vorbereitete Bereitstellung von Verbrauchsmaterialien wie Kathetern, Handschuhen, Desinfektionsmitteln und Inhalationszubehör.
Um die Versorgung strukturiert und sicher zu gestalten, ist es hilfreich, feste Routinen zu etablieren. Dazu gehört beispielsweise das mehrmalige Inhalieren täglich – idealerweise vor den Mahlzeiten, um Sekrete zu lösen und die Atmung zu erleichtern. Klare Abläufe und feste Pflegezeiten unterstützen sowohl den Patienten als auch die betreuenden Angehörigen, fördern die Selbstständigkeit und tragen zur Stabilität im Alltag bei.
Langfristig ergibt sich eine neue Normalität: Mit Geduld und dem Üben neuer Abläufe wird das Leben mit Tracheostoma Schritt für Schritt vertraut. Das Training der neuen Stimme ist wichtig – sowohl für Betroffene als auch für ihr Umfeld. Die Akzeptanz der neuen Stimmerzeugung und das Mitmachen von Übungen erhöhen die Sicherheit und fördern das Selbstbewusstsein.
Das Training der neuen Stimme ist wichtig – sowohl für Betroffene als auch für ihr Umfeld.
Im Alltag unterstützen die Hilfsmittel bei verschiedenen Aktivitäten wie Duschen, Sprechen, Sport und Freizeit. Wer sich auf die eigene Entwicklung einlässt, bleibt aktiv, pflegt soziale Kontakte und gestaltet sein Leben nach eigenen Vorstellungen. Bei Notfällen helfen spezielle Hinweise wie Armbänder oder Aufkleber, damit Ersthelfer die spezielle Atemsituation erkennen.
Der Austausch mit Selbsthilfegruppen bietet emotionale Entlastung, Rechtsberatung, praktische Tipps und Begleitung. Seminare bieten weitere Orientierung im neuen Alltag. Die größte Angst nach der OP ist oft die Unsicherheit bei akuten Situationen – hier helfen Vorbereitung, Erfahrung und Mut, eigene Grenzen zu erkennen und Hilfe zu suchen.
Auch digitale Unterstützung spielt eine wachsende Rolle: Die Atos MyLife App bietet Übungen für Stimmrehabilitation, Pflegeanleitungen und Alltagstipps – ein wertvoller Begleiter auf dem Weg in die neue Normalität.
Unterstützung und Selbsthilfe
Niemand muss diesen Weg allein gehen. Der Bundesverband Kehlkopf- und Kopf-Hals-Tumore e. V. bietet Seminare, Austauschgruppen und rechtliche Beratung – etwa bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises. Selbsthilfegruppen unterstützen emotional, organisatorisch und sozial. Wer sich vernetzt, findet nicht nur Antworten, sondern auch Mut und Gemeinschaft.

Fazit: Jede Stimme zählt
Die Zeit nach einer Laryngektomie verlangt viel – von den Betroffenen wie von ihren Familien. Doch mit guter Vorbereitung, engagierter Pflege und der Unterstützung durch Fachkräfte und Angehörige gelingt es Schritt für Schritt, einen neuen Alltag zu gestalten. Auch mit veränderter Stimme bleibt die Botschaft: Jeder hat etwas zu sagen.
Mut, Ausdauer und Gemeinschaft helfen, das Leben mit Tracheostoma als neuen, starken Lebensabschnitt zu begreifen.
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Jetzt AnmeldenReferenzen
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Glunz, M.; Schmitz, E. (2019):Prä- und postoperative Phasen bei an Kehlkopfkrebs erkrankten Menschen. Präoperative Phase. In: Glunz, M.; Reuß, C.; Schmitz, E.; Stappert, H. (Hrsg.): Laryngektomie. Von der Stimmlosigkeit zur Stimme. 3.Auflage., Berlin, 2019, S.3-20.
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